Als ich heute gegen 15 Uhr mit Lucie in die Tierklinik fuhr, war mir klar, dass wir gerade ihre letzte Reise angetreten haben. Eine Woche lang hatten die Klinik und ich alles versucht, sie zu retten. Leider ohne Erfolg.
Vor acht Tagen fiel mir auf, dass mit Lucie etwas nicht stimmen konnte. Sie suchte meine Nähe. In den 15 Jahren, die wir zusammen verbrachten, hatte sie noch nie meine Nähe gesucht. Eher im Gegenteil. Sie war eine Katzenkatze, keine Menschenkatze.
Sie hatte die ein, zwei Tage davor nicht sonderlich gut gefressen. Die anderen Katzen aber auch nicht. Ich schob es auf das sonderbare Wetter: Mal heiss wie ein Backofen, mal Gewitter wie Sintflut. Das kann ja schonmal den Appetit durcheinanderbringen.
Doch als Lucie vor einer Woche morgens zu mir aufs Bett sprang und das Kopfkissen für sich beanspruchte, war ich alarmiert. Sobald die Tierklinik geöffnet hatte, rief ich an und bat dringlich um einen Termin. Ich schilderte, dass Lucie nicht gut gefressen hatte und sowieso schon sehr dünn sei. Das mit dem Kopfkissen liess ich weg.
Lucie war seit Anfang des Jahres in der Klinik in Behandlung, weil sie Vitamin-B12-Mangel hatte, nachdem ihr im Dezember alle Zähne entfernt werden mussten. Ob das einen Zusammenhang hat, sei wohl unwahrscheinlich. Mitte Mai waren wir wegen B12 letztmals zur Kontrolle. Sie hatte weiter abgenommen, von einst ca. 3 Kilo auf Anfang 2023 2.5 Kilo und im Mai 2.1 Kilo. Darum nahm man meinen Anruf sehr ernst und wir bekamen noch am selben Tag, heute vor einer Woche, einen Termin.
Sie wog nur noch 1.8 Kilo und war stark dehydriert. Sie hatte etwas mehr getrunken die Tage davor, aber auch dafür machte ich die teils sehr sommerlichen Temperaturen verantwortlich. Einige meiner Katzen wären zeitweise am liebsten in den Hundepool auf dem Balkon gesprungen. Oder tranken halt daraus.
Sie behielten Lucie bis Freitag in der Klinik, um ihr Infusionen zu geben und sie von Zeit zu Zeit zwangszufüttern. Die Blutwerte ergaben, dass ihre Nierenwerte dermassen miserabel waren, dass sie gar nicht mehr gemessen werden konnten.
Am Donnerstag ging ich sie besuchen und brachte ihr ihr Lieblingskissen mit, auf dem sie in der Folge lag, was die Tierpflegerinnen sehr süss fanden. Ich hatte mich fast nicht getraut, zu fragen, ob ich das Kissen mitbringen darf. Die Dame am Telefon meinte aber, das sei sogar eine sehr gute Idee. So hätten die verunsicherten Tiere im Versorgungsraum etwas, was sie an zu Hause erinnert. Sie würde es schön finden, wenn mehr Tierhalter an so was denken.
Am Freitagabend durfte ich Lucie wieder nach Hause nehmen. Ich dachte, wir hätten die Kurve nochmals gekriegt. Ich sollte mich getäuscht haben.
Zwar zeigte Lucie nach den Infusionen und mit einem Arsenal an Medikamenten wieder Appetit und ein bisschen Lebensfreude. Doch die hielt nur bis Samstagabend an. Also stellte ich ihr am Sonntag alle ein bis zwei Stunden mit allen Raffinessen (Futter anwärmen, warmes Wasser drüber, Futter in Suppenform etc. pp.) präparierte Kleinportionen zur Wahl. Am Sonntagabend entschloss ich mich zur Zwangsernährung per Futterspritze. Sie durfte nicht weiter abnehmen, nicht weiter dehydrieren.
Am Montagmorgen hatten wir Kontrolltermin in der Klinik. Wieder 100 Gramm weniger Gewicht. Dennoch war die Tierärztin beim Anblick einer recht aufgeweckten Lucie einigermassen zuversichtlich, dass sie es nach erneuter Infusion, mit dem Medikamentearsenal und meiner Fütterungsstrategie bis zum nächsten Kontrolltermin am Freitag schafft.
Doch gestern Mittag stellte Lucie das Fressen und Trinken komplett ein. Mit nichts konnte ich sie bezirzen. Also stellte ich gestern Abend nochmals auf Zwangsfütterung um. Kein Wunder, dass Lucie in den letzten Tagen meine Nähe nicht mehr suchte, sondern mied. So weit sie noch konnte. Denn beim Laufen fiel sie ständig um. Ich wusste, dass es nicht gut aussah.
Gestern Abend versprach ich ihr, dass ich sie heute erlösen lasse, wenn sie morgens nicht irgendein Zeichen von Lebenswillen zeigt.
Heute morgen gab ich ihr im Anflug einer letzten Hoffnung nochmals die Medis. Fressen wollte sie dennoch nichts. Vom Leben wissen auch nicht.
Also fuhren wir heute gegen 15 Uhr in die Klinik, die ich zuvor angerufen hatte. Lucie wurde nochmals sanft untersucht. Und man teilte mir mit, dass sie schon näher bei den Sternchen sei, als bei uns.
Als der Tierarzt, der sie 15 Jahre lang betreut hatte, gegen 15:30 Uhr die finale Betäubung in den nun nur noch 1.5 Kilo leichten Katzenkörper fliessen liess, hörte Lucies Herz bereits auf zu schlagen.
Ich hoffe aus ganzem Herzen, dass es einen Katzenhimmel gibt, wo sie endlich mit ihrer grossen Liebe Omar wiedervereint sein kann.
Lucie, du warst eine geballte Portion Liebe. Nicht mir oder anderen Menschen gegenüber, aber deinen Katzenkumpels gegenüber. Auch wenn du nie wieder einen so sehr liebtest wie damals Omar.
Dein Start ins Leben war grauenvoll. Du hattest ein ausgerenktes steifes Hinterbein und einen abgerissenen Schwanz, weil dich – gemäss Untersuchungen und Röntgenbildern unserer Tierärzte – dich damals in Madrid jemand als Kitten daran festgehalten haben muss, als er dich in Tötungsabsicht gegen eine Wand schlug. Du hast das überlebt und konntest deinen Peinigern entfliehen.
Als du über eine spanische Tierschutzorganisation 2007 hier bei uns angekommen bist, warst du verständlicherweise nicht sehr zutraulich zu mir, sehr wohl aber zu Omar und Sahib, die damals hier schon lebten.
Weil ich damals aber so doof war, eine junge Katze wie dich zu den beiden Senioren zu holen, erweiterte sich seither die Kamikatzezwerglis-Familie stetig. Ok: Bis auf jeweils maximal 7 Katzen zur gleichen Zeit.
Aber du warst jene Katze, die inzwischen immerhin einigen anderen Zwerglis das Tor in ein – wie ich hoffe – gutes und geborgenes Leben voller Liebe öffnete, in Order of Appearance: Shakti (*2006), Mogwai († 2009), LouLou († 2011), Mathilde († 2014), Felize (*2010), Faramee († 2019), Tünn (*2012), Moriah († 2020), Max († 2016), Malik (*2015), Maruschka (*2017), LaLuz (*2021).
Ich habe dir so viel zu verdanken, mein Herz. Alles, was ich nun noch für dich tun konnte, war dich gehen zu lassen. Du hast in deinem ca. 18-jährigen Leben mehr bewirkt, also so mancher Mensch. Du wirst ein sehr heller Stern am Himmel sein.
Ich liebe dich. Mehr als Worte sagen können. Du bist nicht fort. Nur woanders.
Ps: Das wundervolle Bild von Lucie hat die fantastische Malerin und Tierschützerin Stefania Re erstellt: https://www.illustrations.it
Pps: Ich habe keine Ahnung, ob hier nach über 3 Jahren Pause überhaupt noch jemand mitliest. Die letzten drei Jahre sind hier vor allem wundervolle Dinge passiert: Maruschka und LaLuz sind eingezogen und haben auch kleine Wunder vollbracht. Im letzten Jahr hat zudem Malik FIP besiegt. Falls irgendjemand wissen möchte, was es damit auf sich hat, lasst mich wissen.